Rio de Janeiro – Sie könnte auch schön am Strand der Copacabana liegen. Doch Marcilene Jesus da Concepção sonnt sich auf der Terrasse eines Betonhäuschens, in einer heruntergekommenen Gegend am Stadtrand von Rio de Janeiro.

Kein Meer, kein Sand. Und statt eines Bikinis trägt sie schwarze, weiße und rote Klebestreifen, die über Brüste und den Intimbereich geklebt sind. Das macht sie für ihren Freund.

Es ist gar nicht so leicht, das etwas euphemistisch als «Spa» bezeichnete Häuschen zu finden. Vor dem Gittertor parkt ein dicker Wagen mit der Aufschrift «Erika Bronze». Die Geschäfte scheinen gut zu laufen. Im ersten Stock koordinieren drei Damen mit Headsets die Termine, es ist Hochsommer in Rio, seit November waren schon etwa 3000 Frauen hier – bis zu 90 Kundinnen am Tag. Weiter oben auf der Dachterrasse liegen dicht gedrängt an diesem Morgen 20 Frauen auf Plastikliegen und sonnen sich. Eine Art natürliches Sonnenstudio.

Die Welt kann einstürzen, das Geld knapp sein, oder das Maracanã-Stadion wegen fehlender Gelder vor sich hinrotten (wie derzeit): Wenn eines hier heilig ist, dann ist es das Lechzen nach Sonne und Bräunung, auf Portugiesisch: «bronzear». Zum perfekten Bronze-Ton der Haut gehört in Rio auch ein weißer Strich, der die Linien des Bikinis nachzeichnet. Da am liebsten der «Fio-Dental» in Rio getragen wird, müssen die Linien besonders dünn sein. «Fio-Dental» heißt eigentlich Zahnseide, damit sind im Volksmund die String-Bikinis gemeint.

Nun ist es mit dem perfekten weißen Streifen häufig ein schwieriges Unterfangen. Eine echte Carioca – so nennen sich die Bewohner(innen) der Stadt – hat locker zehn verschiedene Modelle. Dadurch – und weil der Bikini gern verrutscht – gibt es unterschiedliche Streifen. In den Favelas entstand der Trend, dünne Klebestreifen als Bikini-Ersatz auf die Haut zu kleben und sich so stundenlang in die Sonne zu legen.

So entsteht eine Art dünner weißer natürlicher Bikini, vor allem als Geschenk an die Lieben daheim. Erika Romero Martins hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht. «Aus ganz Rio kommen die Frauen hierher.» Angefangen hat die 34-Jährige in ihrer Jugend in der Favela Vila Aliança, der Durchbruch gelang mit ihrem Studio hier in Realengo im Westen der Stadt. Etwa 100 000 Reais (rund 30 000 Euro) sind das Einnahmeziel für dieses Jahr.

Ein junger Mann läuft mit einem Gartenschlauch durch die Reihen der Damen und besprüht sie mit Wasser, im Hintergrund läuft entspannende Musik. Frage an Marcilene Jesus da Concepção, die zum zweiten Mal hier ist: Warum macht sie das und zahlt 70 Reais (20 Euro) pro Sitzung? «Meinem Freund gefällt es sehr», sagt sie, Augenzwinkern.

Zahlt er denn die Auslagen für diese Bräunungsmethode? «Aber sicher doch.» Er ist Österreicher, lebt bei Innsbruck und will im April wieder nach Rio kommen – bis dahin dürfte es mit den perfekten Streifen geklappt haben. Sogar Mütter mit ihren Töchtern sind hier.

Auch wenn es für alle Sonnencreme gibt: Dermatologen warnen vor einer erhöhten Hautkrebsgefahr infolge des exzessive Sonnenbadens in der Morgen- und Mittagssonne. Eine Einheit dauert drei Stunden, erst auf dem Rücken – danach sonnen sich die Frauen auf dem Bauch liegend. Nach drei Sitzungen soll es die perfekten weißen Streifen geben.

Auf Brüste und Intimbereich werden oft hautschonendere weiße Kreppstreifen geklebt, in einer Kabine auf der Dachterrasse werden sie von Erika Romero fachkundig angelegt. «30 bis 40 Rollen Klebeband verbrauchen wir hier pro Tag.» Sie bietet verschiedene Muster an, je nach dem von den Kundinnen bevorzugten Bikini-Typ, neben dem «Fio-Dental» wird auch gern das Bikini-Modell «Cortininha» («Kleiner Vorhang») getragen, mit ein bisschen mehr Stoff untenherum.

Sabrina Vasconcelo, 28, zeigt, wie sich bei der ersten Sitzung schon nach 30 Minuten praller Sonne ein feiner weißer Streifen abzeichnet. Auf dem Rücken trägt sie ein Tattoo «Luiz Carlos – Amor Eterno» (Luiz Carlos – Ewige Liebe). Ihr Freund? Wenn die Beziehung in die Brüche gehen sollte, lässt sich das ja nicht überkleben oder wegbräunen. «Nein, nein», lacht die Eventmanagerin. «Das ist mein Vater.»

Laut der Chefin Erika Romero Martins «ist ein starker weißer Streifen der Stolz der Cariocas». Ein Statussymbol. Im benachbarten Argentinien, wo man auf die Brasilianer traditionell immer etwas abschätzig blickt, schrieb die auflagenstärkste Zeitung «Clarín» zu dem bedenklichen Bräunungseifer mit Klebeband: «Lächerliche Obsessionen.»

Fotocredits: Renata Brito
(dpa)

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